8. Mai 2011
Private Familientherapie

Das neue Stück von Martin Heckmanns am Staatsschauspiel Dresden

Der Schriftsteller Martin Heckmanns hat sich in den letzten zehn Jahren als Theater- und Hörspielautor einen Namen gemacht. 2002 wurder er von den "theater heute"-Kritikern zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Derzeit ist sein neues Stück "Vater, Mutter, Geisterbahn" in Dresden zu sehen.

 

Von Hartmut Krug

 

Leer und ungemütlich ist das Zimmer mit seinen offenen Fenstern inmitten einer gemalten Großstadtszenerie. "After all it´s your life" steht auf einer Außenwand, darunter sind Wölfe gemalt, während über allem Gottes Auge strahlt. Dass in diesem grauen, aggressiven Umfeld ein schönes Familienleben nicht möglich sein wird, ahnt jeder Zuschauer sofort. Genau darum aber geht es dem Elternpaar, das hier seinen Sohn zu erziehen sucht und rückblickend die Stationen ihrer Erziehungsversuche und gemeinsamen Lebenswirklichkeit mehr durchspricht als durchspielt. Es ist eine ganz private Familientherapie, bei der sie sich im Spiel neue Erziehungsmethoden ausdenken, um sich und ihre Erziehung nachträglich zu ändern.

"Das Leben ist wirklich eine Wundertüte", sagt die Frau zu Beginn und im Bewusstsein, dass der Sohn seinen Eltern ein Glücklichsein nicht glaubt. Nun hat Autor Martin Heckmanns den Eltern eine lakonische Direktheit eingeschrieben und Regisseur Christoph Frick ihnen eine in kalter Trauer erstarrte Verzweiflung mit gegeben, was keinen Augenblick Gedanken an ein glücklichen Wundertüten-Leben aufkommen lässt. Was wir sehen, ist ein prekäres Familienleben, bestimmt von unerfülltem Berufsleben und allzu viel idealistisch verkrampften Erziehungsversuchen an einem Sohn, der es einmal besser haben soll.

So weit, so bekannt. Heckmanns sprachlich karg-konkretes, seine Figuren so schmal wie präzise zeichnendes Befindlichkeitsstück umkreist die Fragen "wie soll man leben und was sollten Ziele des Lebens sein?" Fragen, die gelegentlich schon einmal gestellt wurden. Bei der Lektüre des Stückes wirkt all das nicht sonderlich aufregend. In Christoph Fricks Inszenierung allerdings schon. Denn er hat die Geisterbahn aus dem Titel auf die Bühne gebracht, indem er die kleine realistische Geschichte spannungsvoll fremd macht und sie fast surrealistisch versinnlicht. Das beginnt damit, dass der kleine Sohn zu Beginn im Strampelanzug, ein Plüschtier in der einen und eine Fernbedienung in der anderen Hand, das Zimmer im offenen Raum kreisen lässt.

Dann steht die Mutter wie ein verspannter Fremdkörper, die Hände verkrampft geballt, allein im Raum. Ihren Mann, der in einem Copyshop arbeitet, obwohl er Theaterregisseur sein wollte, schickt sie gleich wieder aus dem Zimmer. Denn er hat vom Leben draußen und seiner Berufstätigkeit nicht positiv berichtet, sondern von Wölfen, Schwüle und Demonstrationen erzählt. Nun muss er, alles auf Anfang, etwas Schönes erfinden, damit es dem Sohn gut geht.

Doch der erzählt lieber dem Publikum, wie ihn die Eltern nerven. Die ihn mit Sprüchen aus Erziehungsratgebern traktieren oder ihm komplizierte philosophische Texte als Einschlafmedizin verabreichen. Dabei haben die Eltern, wen wundert es, genug Probleme miteinander, nicht nur sexuelle. Die Mutter, Nele Rosetz gibt ihr eine intensive Angestrengtheit, flüchtet schon mal für längere Zeit, während der Vater, den Christian Erdmann als staunend-hilflos Überforderten gibt, sich weiter abmüht mit dem Sohn, der auch mal nach draußen verschwindet.

Heckmanns tippt etliche Themen nur kurz an und benennt mit Reizworten eine schlimme Außenwelt. Im Manuskript steht "Fünfte Szene: schöner Tag", ohne Text und Beschreibung. Einen schönen Tag gibt es deshalb auch in dieser Uraufführung nicht, sondern nur die gescheiterte Erziehungsgeschichte eines Sohnes, den Robert Niemann, mit wechselnder Kleidung aufsteigende Altersstufen anzeigend, als einen stoisch in sich zurück gezogenen spielt. Der am Schluss zwar sein Elternhaus verlassen hat, doch von draußen übers Mikrofon das Schlaflied singt, das die Eltern drinnen tonlos anstimmen.

 

Ein solides, aber kein starkes Stück von Martin Heckmanns, das durch Christoph Fricks Regie und drei prächtige Schauspieler unvermutete Bühnenkraft bekommt.


 

Vater Mutter Geisterbahn (UA) – In Dresden inszeniert Christoph Frick einen neuen Martin Heckmanns

Kahl und kalt und meist verhängt

von Ute Grundmann

Dresden, 6. Mai 2011. 

 

Otto lässt das Haus tanzen. Ein Plüschtier in der einen, ein Steuergerät in der anderen Hand, bewegt er damit den kleinen, flachen Bau auf der Drehbühne hin und her, immer schneller. Doch wirklich aussteigen kann er nicht, er muss wieder zurück in das kahle Zimmer, in dem seine Eltern ihn erziehen, auf Leben und Tod vorbereiten wollen. So beginnt im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels die Uraufführung des neuen Stücks von Martin Heckmanns, "Vater Mutter Geisterbahn". Vater Johann, Mutter Anne und Sohn Otto werden alle mal versuchen, aus dem kahlen, kalten Raum zu fliehen, in dem sie zwecks Erziehung und Lebensbewältigung zusammengesperrt sind.

 

Die (An)Spannung in dieser Kleinfamilie ist von der ersten Szene an sicht- und spürbar. Da steht Anne (Nele Rosetz) mit geballten Fäusten im Zimmer, wünscht dem gerade heimgekommenen Johann (Christian Erdmann) angestrengt einen "schönen Abend". Doch weil der nicht freundlich genug reagiert, muss er wieder raus, noch mal reinkommen und, alles auf Anfang, es mit einer netteren Begrüßung versuchen. Von dieser Spannung zwischen Heile-Welt-spielen, dem Scheitern daran und plötzlich aufbrechenden Aggressionen lebt das 80 Minuten kurze Stück.

 

Sätze wie aus dem Erziehungsratgeber

Martin Heckmanns, seit 2009 Hausautor und Dramaturg am Dresdner Staatsschauspiel, hat in kurzen Szenen das Psychogramm einer Familie geschrieben, in der die Eltern alles richtig machen wollen. Dazu legt er ihnen mal Sätze wie aus dem Erziehungsratgeber in den Mund, mal reden sie sich das Chaos, das Sohn Otto (Robert Niemann) anrichtet, niedlich.

Und schließlich haben sie auch noch genug miteinander zu tun. Sie hat ihr Philosophiestudium nicht beendet und trinkt – Nele Rosetz lässt sie aus mit geballten Fäusten behaupteter Kraft manchmal in kindliches Verhalten kippen. Er ist erfolgloser Regisseur und arbeitet im Kopierladen – Christian Erdmann spielt ihn mit verwundert-verwundetem Blick, hilflos und überfordert.

 

Einschlafen durch Überforderung

Für diese Familienszenen hat Alexander Wolf eine ungemütliche Szenerie auf die Drehbühne gebaut: Über dem flachen, an einer Seite offenen Kasten mit dem Zimmer ragt eine Graffiti-Skyline auf; drinnen ist der Raum kahl und kalt, die Fenster meist verhängt, wie abgeriegelt gegen das Draußen. Hier lässt Regisseur Christoph Frick (Leiter der Schweizer Theatergruppe KLARA, der zum ersten Mal in Dresden inszeniert) die Kleinfamilie unerbittlich umeinander kreisen.

Da starren die Eltern ihr Kind an, als wäre es ein Objekt, das eine bestimmte Reaktion zeigen muss. Der Sohn, dessen verschiedene Alterstufen durch die Kleidung (rosa Strampler, Anzug, hochgekrempelte Hosenbeine) signalisiert wird, spricht derweil ins Publikum über seine nervigen Eltern. Der Vater liest Otto hochgestochene Texte vor, damit der durch Überforderung endlich einschläft. Entspannung, Gelassenheit, Nähe ist selten in diesen Szenen, einmal steckt Otto den Kopf unter Mutters T-Shirt, als könne er so zurückkehren in ihren Bauch.

 

Weggelaufen ohne Grund

Dabei soll er doch eigentlich (endlich) hinaus in die Welt, aber aus diesem kalten Zimmer flieht man eher. Immer wieder lässt Christoph Frick Vater, Mutter, Sohn durch Fenster fliehen, mit den Türen knallen, sich verbarrikadieren, doch es nutzt nichts, aus der Kleinfamilie gibt es scheinbar kein Entkommen.

Und erst allmählich, durch leise Sätze wie "und dann ist er weggelaufen, ohne Grund" und Fragen, was sie falsch gemacht hätten, wird klar, dass es eine Rückschau ist. Die bemüht-verzweifelten Eltern spielen hier noch einmal durch, was gewesen ist und was sie vielleicht anders, besser hätten machen können, müssen. Am Ende, in der starken Schlussszene einer gelungenen Inszenierung, singt, ja summt Otto ein Schlaflied für die Eltern, die nur noch stumm die Lippen bewegen..

 

Kritikenrundschau

"Heckmanns sprachlich karg-konkretes, seine Figuren so schmal wie präzise zeichnendes Befindlichkeitsstück umkreist die Fragen 'wie soll man leben und was sollten Ziele des Lebens sein?'", sagt Hartmut Krug auf Deutschlandfunk (7.5.2011). "Fragen, die gelegentlich schon einmal gestellt wurden. Bei der Lektüre des Stückes wirkt all das nicht sonderlich aufregend. In Christoph Fricks Inszenierung allerdings schon. Denn er hat die Geisterbahn aus dem Titel auf die Bühne gebracht, indem er die kleine realistische Geschichte spannungsvoll fremd macht und sie fast surrealistisch versinnlicht." Und somit liege hier ein "solides, aber kein starkes Stück von Martin Heckmanns" vor, "das durch Christoph Fricks Regie und drei prächtige Schauspieler unvermutete Bühnenkraft bekommt."

 

Heckmanns neues Stück sei "nicht ganz so artifiziell und sprachverliebt wie die frühen Texte, und die böse Welt schaut auch nur streiflichtartig herein", schreibt Michael Bartsch in den Dresdner Neuesten Nachrichten (9.5.2011). "Aber sie spiegelt sich in dieser Vater-MutterKind-Geschichte, die mit geradezu psychoanalytischer Präzision und Feinfühligkeit die Gesetze dieses ewigen Dreiecks ausleuchtet." "Vater Mutter Geisterbahn" sei "ein paradoxes Kammer-Spiel im wörtlichen Sinn, dessen versuchte Abgeschlossenheit nicht funktionieren kann. Das Familien-Dreieck ist, anders als in der Geometrie und der Ingenieurskunst, eben nicht in sich stabil." Regisseur Christoph Frick habe "den anspruchsvollen Heckmanns-Text sehr genau nachgearbeitet und ihm darüber hinaus unerwartet berührende, kontemplative, manchmal surreale Dimensionen abgewonnen".

 

Martin Heckmanns sage, "unwahrscheinliche Existenzen" finde er interssanter als "echte Menschen" auf der Bühne, berichtet Rainer Kasselt in der Sächsichen Zeitung (9.5.2011). Entsprechend redeten die Figuren "nicht wie gewöhnliche Leute. Sie sprechen eine imitierte, angelesene, verkopfte Sprache." Indes biete der Abend keine "trockene Kost", auch wenn es ihm "gelegentlich an Leichtigkeit fehlt. Es gibt witzige Szenen, geschliffene Bonmots, feine Beobachtungen. Die Eltern spüren ihre Erstarrung, retten sich in die Freiheit des Spiels, stellen Szenen ihrer gescheiterten Versuche nach, um sich selbst zu erkennen". Regisseur Frick sorge für "einen schnellen Wechsel von ernsten, komischen und stillen Szenen. In der stilisierten, überhöhten Aufführung sorgen stumme, slapstickartige Momente für Ruhe und Nachdenklichkeit."

 

 


news.de/dpa

07. Mai 2012

Martin Heckmanns: «Vater Mutter Geisterbahn»

Am Kleinen Haus in Dresden ist das neue Stück des Staatsschauspiel-Hausautors Martin Heckmanns uraufgeführt worden. In «Vater Mutter Geisterbahn» geht es um einen eigensinnigen Sohn und seine überforderten Eltern.

Dresden (dpa) - Am Kleinen Haus in Dresden ist das neue Stück des Staatsschauspiel-Hausautors Martin Heckmanns uraufgeführt worden. In «Vater Mutter Geisterbahn» geht es um einen eigensinnigen Sohn und seine überforderten Eltern.

 

Etwas verloren steht Otto Klein da. Im rosa Frotteeschlafanzug, den Plüschhasen in der Hand. Er hört seine Eltern streiten: Darf der Junge noch ein Gummibärchen essen nach dem Zähneputzen? Bald geht es ums Prinzip. Und dann sagt die Mutter: «Er ist ein wunderbares Kind. Wenn er lacht, muss ich weinen.» Es sind giftig glänzende Alltagsdiskussionen in dem neuen Theaterstück von Martin Heckmanns, die die Zuschauer der Uraufführung am Kleinen Haus in Dresden mal hell auflachen und gleich darauf erschrocken schlucken lassen.

 

Die Dreiecksbeziehung der Klein-Familie ist so geladen wie der große Stromkasten, den der Bühnenbildner Alexander Wolf in die Neubauwohnung der Kleins gepflanzt hat. Mehr als einmal brennt hier jemandem die Sicherung durch, bis Anne, die verkrachte Philosophiestudentin («Philosophie studiert man nie ganz zuende»), sich eine Auszeit nimmt - und dann doch wieder zu ihrem Mann, dem gescheiterten Regisseur, zurückkommt. Otto ist da schon in der Pubertät, und das Vater-Mutter-Kind-Beziehungsexperiment geht in die nächste Runde.

 

Regisseur Christoph Frick lädt die Repliken, die zwischen Vater, Mutter, Kind mal wild, mal mild hin- und herfliegen, noch zusätzlich auf: mit hektischen Rundläufen um den verwohnten Klotz auf der Drehbühne, mit zarten Gesten und wütendem Türenknallen. Körperlich spürbar wird so die Verwirrung, die Verletztheit, gequälte Abnabelungs- und Befreiungsversuche bei allen drei Schauspielern.

 

Robert Niemann spielt den Otto in seinem Dresden-Debüt überzeugend als Mischung von Kaspar Hauser, dem stummen Sonderling, und Oskar Mazerath, dem frühreifen Blechtrommler. Mit seiner hippeligen Chaosmutter, gespielt von Nele Rosetz, und Bühnenvater Christian Erdmann verbindet ihn wenig. Ihn zieht es zur Großmutter; als die stirbt, macht auch er einen harten Schnitt.

 

Das dramatische Ende zieht das Publikum in den Bann: Wie da Bild und Ton auf der Bühne langsam auseinanderlaufen, wie der Betrachter dieses kleinen Neubau-Bestiariums von der Banalität prolliger Textstückchen auf moralische Grundfragen gestoßen wird, das ist ergreifend.

 

Sicher, manches Sprachbild ist Heckmanns verrutscht. Die kitschigen Off-Kommentare Ottos («Mein Mutterbild begann zu wanken, als sie zu trinken begann. Ihre Zärtlichkeiten rochen nach Wein.») sind nicht annähernd so überzeugend eingefangen wie die humorvoll-bitteren Doppelbödigkeiten, die sich Vater und Mutter im Streit an den Kopf werfen. Insgesamt jedoch ist «Vater Mutter Geisterbahn» überzeugend gelungen: eine zeitgenössische «Endstation Sehnsucht».

news.de/dpa