Unbeschulbar? Endspurt für ein Experiment

 

theater freiburg blog

Von Trix

Dienstag, 8. Mai 2012

 

Was passiert, wenn „schwierige“ Schüler und Theaterschaffende aufeinandertreffen? Am Donnerstag, den 10. Mai, feiern„Die Unbeschulbaren“ mit Schülern der Schule für Erziehungshilfe Schub(S) im Werkraum des Theaters Premiere. In der Schlusskurve der Probezeit sprachen wir mit ihrem Lehrer Martin Truckses und Regisseur Christoph Frick.

 

Herr Truckses, wie wirkt das Theater auf Ihre Schüler?

Martin Truckses: Bestärkend. Es richtet sie auf, dadurch, dass Christoph Frick sie wahrnimmt wie sie sind, um daraus etwas Kreatives zu schaffen. Mit der Zeit merken sie, dass es positiv für sie ist, dass sie hier die Chance haben, sich zu präsentieren.

 

Würden Sie wieder an einem gemeinsamen Projekt teilnehmen?

M. T.: Auf jeden Fall. Die Schüler haben unheimlich viel gelernt, was sie später bei Bewerbungen brauchen können, zum Beispiel die Selbstpräsentation. Sie haben gelernt, sich vor die Leute zu stellen, eine andere Haltung anzunehmen und – zum Teil in Einzelarbeit mit den beteiligten Schauspielern – eine andere Sprache zu finden.

 

Wie reagierten die Jugendlichen darauf, nicht mit Pädagogen zu tun zu haben, sondern mit Profis vom Theater?

M. T.: Das ist ein großer Unterschied. Wir Pädagogen spüren ja alle Schwingungen, geben immer wieder nach und dem Schüler eine neue Chance. Die Schauspieler haben ganz andere Grenzen – da kam es auch zu Krach. Das ist authentisch. Für die Schüler ist das gut, denn sie merken, wie sie bei anderen rüberkommen. Auf der anderen Seite motiviert sie das Aufeinandertreffen: Sie wollen zeigen, was sie draufhaben auf der Bühne.

Von anfangs sieben Schülern, 14 und 15 Jahre alt, werden am Ende nur vier auf der Bühne stehen, die an der Projektentwicklung und den Proben seit Ende Februar teilgenommen haben: Michael, Kevin, Deniz und Tamara. Jeder Probe ging eine Runde „Four Corners“ voran, eine Art schnellen Ballspiels, die auch im Stück zu sehen sein wird. Es geht darum, mit dem Ball so in ein Feld zu treffen, dass der Gegner ihn nicht mehr erreichen kann. Wenn Michael in einer Szene des Stücks auf der Bühne zwischen Ballspiel und von Tamara angeleiteten Tanzschritten hin- und herpendelt, ist einen Moment lang das Glück spürbar, das es für ihn bedeutet, hier stehen zu können.

Herr Frick, (Problem-)Schule trifft Theater – für Sie eine Modell mit Zukunft?

Christoph Frick: Ich habe viel gelernt dabei und würde das jederzeit wiederholen.

 

Was können Theater-Profis von Schülern lernen?

C. F.: Vor allem Geduld. Zunächst denkt man ja, das Problem liegt bei den anderen, also bei den Schülern. Später stellt man fest: Sie sind ein perfekter Spiegel eigener Verhaltensweisen. Wie in anderen Theaterprojekten übrigens auch.

 

Gab es für Sie ein Highlight?

C. F.: Der ganze Prozess – wie deutlich wurde: wie haben hier Material, damit können wir spielen. Und das, obwohl man erst denkt, da kann gar nichts klappen. Ich glaube, die Schüler sind während des Projekts gewachsen; sie zeigen Selbstbewusstsein und Freude.


 

DIE UNBESCHULBAREN: Begegnungen von Mensch zu Mensch

Nach dem gemeinsamen Besuch der Vorstellung am 18.5. von DIE UNBESCHULBAREN habe ich Manuel Brand zu einem Interview gebeten, bei dem mich seine Eindrücke von dem Theaterabend als ausgebildeter Sonderschulpädagoge interessiert haben.

Sylvia: Beschreib doch erst mal was du gesehen hast an diesem Abend. Was hat dir gefallen, was ist in Erinnerung geblieben?

Manuel: Nun für mich war das die Mischung aus der Widergabe der Proben, so dass man den Zuschauern Einblick in den Prozess gibt, und die Wünsche und Erinnerungen der Schüler. Das Chaos am Anfang war mir etwas zu stressig. Was mir gut gefallen hat, war, dass ich etwas von den Schülern mitbekommen habe, das in der Schule oft überlagert wird. Die Szene in der Tamara zum Beispiel ihren Traum von einer eigenen Eisdiele erzählt. Das war schön dargestellt und und gibt Einblick in ihre Wünsche und Lebensvorstellungen. Oder die Vorstellung von Michael mal wie bei „Deutschland sucht den Superstar“ aufzutreten. Dieser Wusch ein Star zu werden hat doch jeder zweite Schüler.
In Erinnerung ist mir auch die Sequenz mit den Eindrücken vom ersten Schultag geblieben. Die Gegensätze, die hier aufgemacht wurden von auf der einen Seite der Tenor „find’ dich damit ab, das schaffst du eh nicht“ und auf der anderen Seite die Zuversicht, die die Kinder mitbekommen haben von zu hause. Nicht immer erfahren die Kinder in ihrem Elternhaus die so wichtige und wünschenswerte Zuneigung und Unterstützung.
Insgesamt finde ich, dass etwas sehr schönes hier entstanden ist. Ich hatte das Gefühl, dass die Schauspieler und die Schüler gut miteinander harmonisiert haben und dass man etwas zusammen geschafft hat.

Sylvia: Harmonisieren ist gut – es werden ja doch auch viele Konfliktsituationen gezeigt. Inwiefern würdest du sagen, dass das hier skizzierte Lehrer-Schüler-Verhältnis mit deiner eigenen erfahrenen Arbeitsrealität als Lehrer übereinstimmt?

Manuel: Das habe ich mich während des Stücks auch gefragt. Bei diesem Stufensystem des Chaos habe ich gedacht – was gibt es bei mir im Unterricht? Ich denke 10 ist zu arg. Als Lehrer hat man ja doch ein anderes Verhältnis zu seinen Schülern um sich etwas besser durchsetzten zu können. Aber ich denke 2 und 3 – ja das ist Alltag. Aber sicherlich hat hier auch jeder Lehrer eine ganz eigene, subjektive Wahrnehmung.

Sylvia: Was meinst du mit „ein anderes Verhältnis“?

Manuel: Ich hoffe, dass in den Proben ein gleichwertigeres Verhältnis zwischen Schauspielern und Schülern geherrscht hat als in der Schule, wo es doch eine starke Hierarchie zwischen Lehrer und Schülern gibt. Bei einem solchen Projekt kann man mehr an einer Sache zusammen arbeiten und die Unterschiede spielen keine so große Rolle wie im Unterricht. In der Position des Lehrers bin ich mir sehr meiner Verantwortung bewusst und es ist schwierig sinnvoll zu entscheiden aber nicht über die Köpfe der Schüler hinweg. Das ist für viele Lehrer problematisch und letztlich steht man dann schnell als Besserwisser da, wie ja im Stück auch gezeigt wurde. Auch im Unterricht versuche ich mehr etwas gemeinsam zu erarbeiten. Aber die Schule muss auch Kulturtechniken wie Mathe usw. vermitteln damit die Schüler in unserer Gesellschaft bestehen können. Als Sonderschulpädagoge versuche ich diese Kulturtechniken mit Alltagsbezug aufzubereiten. Das heißt weniger theoretisch und die Schüler mehr merken lassen, für was das alles eigentlich zu gebrauchen ist.
Hier im Theater stehen aber noch viel mehr die Persönlichkeiten der Schüler im Zentrum, daher ist diese Erfahrung sicher sehr prägend für die Schüler. Und dass das Theaterspielen motiviert hat, konnte man super sehen. Die Kinder waren wahnsinnig bei der Sache.

Sylvia: Aber würdest du nicht sagen, dass das Theater mit solchen Projekten der Schule die Arbeit abnimmt, die sie eigentlich zu leisten hätte?

Manuel: Ich denke solche Theaterprojekte sind eine mehr als nur wünschenswerte Ergänzung zum Unterricht. Die Schüler haben hier frei reden gelernt und vor Publikum zu stehen. Auf der einen Seite sind sie in die Rolle eines Schauspielers geschlüpft auf der anderen Seite waren sie aber auch ganz sie selbst. Hier konnten sich die Schüler viel mehr selbst einbringen. Aber natürlich ist das auch ein riesiger Aufwand, den die wenigsten Lehrer bereit sind zu machen. Daher sind solche Projekte im Theater eine unschätzbare Ergänzung und Erweiterung. Viel von dem, was im Unterricht gelernt wird, wird sofort wieder vergessen, aber so etwas bleibt. Die Schüler auf Sonderschulen oder wie hier bei Schub(S) befinden sich häufig in schwierigen Situationen. Ich glaube, dass solche Projekte im kleinen Rahmen da wirklich was bewegen können. Der Zuspruch vom Publikum: solche Wertschätzung fehlt in den Biografien dieser Kinder. Diese positive Bestärkung, etwas fertig gebracht zu haben, Widrigkeiten überwunden zu haben und bei einer Sache geblieben zu sein – das werden die Kinder mitnehmen aus diesem Projekt.

Sylvia: Ich denke der Abend birgt eine Gefahr, nämlich dass die Schüler hier als Problem ausgestellt und vorgeführt werden. Wie siehst du das?

Manuel: Ich fand problematischer wie die Lehrer dargestellt wurden! (lacht) Es hat mich schon teilweise geschüttelt, wenn man so den Spiegel vorgehalten bekommt. Gerade bei der Anfangsszene, wo der blöde Lehrer pedantisch seinen Text loslässt und die Schüler im Recht sind. Da dachte ich echt, oh man jetzt werden die Lehrer wieder als eine ganz unangenehme Berufsgruppe dargestellt. Ich fand die Schüler nicht ausgestellt, da ja auch sie eine Rolle spielen. Im Gegenteil, die Kinder kommen doch super sympathisch rüber.

Sylvia: Zumal die Behauptung, dass die Schüler chaotisch und undiszipliniert sind, von dem Abend als solchen auf gewisse Weise widerlegt wird.

Manuel: Genau. Daran sieht man auch wie die Schule einengt. Wobei es so einfach eben auch nicht ist. Als Lehrer hat man einen Bildungsauftrag – nicht zu letzt vom Staat. Ohne einen Hauptschulabschluss wird es schwer. Das ist die Realität. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und so wird in unseren Schulen ein krasser Fokus auf Leistung gelegt. Ein solches Theaterprojekt kann da etwas aus den Schülern herauskitzeln, was im normalen Unterricht weniger im Zentrum steht. Die Träume und Wünsche die hier erarbeitet wurden, könnte man in einer Nachbereitung zum Beispiel in Praktika führen lassen. Ich denke dass die Kinder so auch die Sinnhaftigkeit von manchem besser verstehen.

Sylvia: Die Schauspieler sprechen von großen Schwierigkeiten während den Proben, da ihnen einfach das pädagogische Handwerk fehle. Sind sie also eigentlich die Falschen für eine solche Arbeit mit den Kindern?

Manuel: Nein ich denke nicht, dagegen spricht schon das Ergebnis. Ohne sogenanntes pädagogisches Handwerkszeug wird es vielleicht ein gleichwertigeres, mehr zwischenmenschliches Arbeitsverhältnis. Diese Kinder sind eben auch nicht immer nur einfach im Umgang. Ein Lehrer weiß vielleicht besser um die Eigenschaften und Hintergründe eines Kindes aber das alles mal außer Acht zu lassen und sich einfach als Menschen gegenüber zu stehen, hat den Kindern sicher gut getan – mal Begegnungen außerhalb des Schonraums Sonderschule zu machen. Das System Schule ist für diese Kinder doch untrennbar mit Niederlagen verbunden.

Sylvia: Was die Kinder aus diesem Projekt mitnehmen konnten, hast du schon ausgeführt. Was hoffst du, dass die Schauspieler mitnehmen?

Manuel: Einblicke in den Alltag eines Sonderschullehrers. (lacht) Diese Kinder leben so marginalisiert in unserer Gesellschaft, ich hoffe dass die Schauspieler etwas von ihrer Lebenswelt mitbekommen haben. Und einen Anstoß sich mit der eigenen Lebenswelt auseinander zu setzen und sich bewusst zu machen, welches Glück man hatte, so aufwachsen zu dürfen. Wie man selber lebt wird oft als Norm gesetzt, dagegen steht die Wirklichkeit dieser Kinder. Das Schulsystem versucht die Schüler passend zu machen – in umgekehrte Richtung passiert da wenig.

Manuel Brand (31) ist zurzeit Referendar für das Lehramt an Sonderschulen am Seminar in Heidelberg. Zum 1. August fängt er als Lehrer an einer Stadtteilschule in Hamburg an, wo Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf inklusiv beschult werden.