15.10.2013

 

Steh auf, Mann!

Der Basler Regisseur Christoph Frick entdeckt fürs Theater Freiburg den Geist von Kafkas „Amerika“

 

Von Stephan Reuter

 

Sie tasten sich ins Stück. Und sie tasten sich ins Land hinein. Fünf Schauspieler, zwei Musiker. Soeben sind sie in New York gelandet, an diesem Sehnsuchtsort, der sich quasi unter den Fingern des Ensembles in ein kafkaeskes „Amerika“ verwandelt. Auf kindlichen Keyboards klimpern sie zaghaft die Erkennungsakkorde der US-Hymne. Zaghaft deshalb, weil ein alteuropäischer Abschiedsschmerz unüberhörbar in die Ankunft hineinspielt, ade, du mein lieb Heimatland – wie wirds nun gehen am fremden Strand? Es geht, wie es seit altersher den meisten Stehaufmännchen auf der Honigleimspur des American Dream ergangen ist. Zum Tellerwäscher, zum Liftboy, zum Haderlump reicht es, doch dann bleibt man stecken. Millionär? Im Traum nicht.

 

So gesehen ist der Geist von Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“ in der Freiburger Inszenierung des Basler Regisseurs Christoph Frick ungemein lebendig. Die Arenabühne, um die das Publikum blockweise sitzt, bildet das Gegenteil von einem mythisch weiten Land: Fricks Amerika gleicht einer überfüllten Dachkammer, in der sich die Working Poor wälzen. Auf einen wie den Auswanderer und Anti-Helden Karl Rossmann wartet dort niemand, geschweige denn, dass ein Bett frei wäre.

 

Aktionismus und Ermattung

Die Regie ordnet Rossmanns Schicksal zwischen der Sozialtragödie des kleinen Mannes und persönlicher Narretei ein. „Man wird staunen, wie wenig ich kann“, verspricht die sagenhafte Melanie Lünighöner. Wie ihre kongenialen Mitstreiter Johanna Eiworth, Hendrik Heutmann, Matthias Lodd und Nicole Reitzenstein steckt sie in einer Fantasie-Schuluniform, man wirft sich die Rollen und die kurz behosten Hoffnungen der Protagonisten zu, schwankt zwischen Aktionismus und Ermattung.

 

Rossmann beginnt als Hotelbursche, wird von Freunden betrogen, von Vorgesetzten gedemütigt. Der Glanzpunkt dieser an Entsetztensscherz so reichen Inszenierung ist eine Choreographie, in der sich Amerikas Verlierertypen gegenseitig vermöbeln. Jeder darf mal. Und Rossmann steht brav auf. Da haben wir Kafkas ganze Wahrheit. Die Gewalt trifft immer die Naiven. So krass, so stark.