Drei Freunde für den E-Commerce - eine gallige Groteske von Klara

 

Das Theater Klara forscht auf Grund von Henri Murgers Roman «La Bohème» und der real existierenden Ökonomie nach den Bohémiens von heute. Das Theaterhaus Gessnerallee koproduzierte die Uraufführung

 

01.02.2002

 

Wenn Aki Kaurismäki vom Theater träumt, dann womöglich so: Aus der Leere des Raums torkelt - angeschoben von pathetischer Filmmusik - eine tropfende Gestalt, mit unpassend elegantem Kamelhaarmantel und schlecht sitzendem Toupet. Eine zweite gesellt sich dazu, mit Strickpullover und Groucho-Marx-Schnauz, dann eine dritte, ein Spät-Rocker mit Langhaarperücke, «eine Mischung aus Angus Young, Bon Scott und Iggy Pop» (laut Einschätzung eines Kenners). Die drei - ehemalige Top Shots der Wirtschaft, der Event- und Spasskultur, heute Flop Dogs, Stammgäste in Wirtschaften - sind die Protagonisten in Klaras neustem Coup, «Die sorglose Heiterkeit der Unternehmerherzen». Über ihren Realitätsgehalt kann gesagt werden: Martin Heller, Chefdenker der Expo 02, hat das Ergebnis anlässlich der Uraufführung zweifellos amüsiert.

 

 

 

Welche Relevanz das besitzt? Klaras Textquellen sind Henri Murgers 1851 veröffentlichter Bilderbogen aus dem Leben des Pariser Künstlerproletariats, «La Bohème» (die Vorlage für Puccinis gleichnamige Oper), sowie Interviews mit eidgenössischen Expo- und Wirtschaftsmagnaten. Sie lieferten sprachlich das Bühnenwirksamste: neoliberale Maximen als schaumschlägerische Durchhalteparolen und pseudo-philosophische Glaubensbekenntnisse. Christoph Frick und Suzanne Zahnd haben die heterogene Textmasse zu einer Groteske über die Mythen E-Commerce und (Männer-)Freundschaft geknetet; mit dem womöglich radikalsten und - dank der Tonspur von Martin Fischer - musikalisch avanciertesten Zugriff, den Klara in seiner Geschichte gewagt hat: Das Ergebnis ist Free Jazz im Theater.

 

 

 

Auf unversöhnliche Weise wird mit formalen und inhaltlichen Stilbrüchen gearbeitet und mit artistischem Körpereinsatz ein Zapping veranstaltet zwischen Murgers historischem Text (und dessen Bohème-Stimmung) und dem Klara-spezifischen Groove: dem Eintopf aus der Geschichte des Ensembles - Menschen, die Erfolg wollen. Als szenischer Höhepunkt zeitigt das gemeinsame Brainstorming in der gemeinsamen Küche das Ergebnis: die kreative Vermählung von Ketchup, Konservenfrüchten und dem Inhalt der gesamten Speisekammer - auf dem Fussboden.

 

 

 

Was zuvor geschah? Mit einem Selbsthilfe-Projekt wollen die drei ans grosse Geld kommen; Philipp Nauer, der erfolglose Architekt von Lärmschutzwänden, Dominique Rust, Kulturmanager und rhetorische Windmaschine, sowie Jo Dunkel, ein spätpubertärer Hippie im künstlerischen Umbruch (den die Mutter finanziert: ein Kabinettstück von Rust). Man zieht erst einmal zusammen und beschliesst die Gründung der virtuellen Firma «Inner Connection», die ihren Kunden auf einer Webpage versteckte Suggestionen im Sinne des alten Coué anbietet: «Ich weiss, was ich kann!» oder «Ich bin ein sexy Prokurist!». Doch gespielt wird mit heisser Luft, im Einsatz sind bloss Schwarze Peter - wer kocht, wer arbeitet, ist arbeiten kochen? -, als Spaltpilze drohen der finanzielle Knock-out und, wie zu erwarten, eine Blondine (Jo Dunkel). Man redet wie Bill Gates, doch tauglich ist das wie ein Hüftgelenk von Sulzer Medica. Es trägt nicht. Weils nicht steht, weil der gedankliche Boden ein intellektuelles Luftschloss bleibt. Zum schlechten Ende liegen alle in ihrem Blut.

 

 

 

Oder ist es Rotwein, der schon am Anfang die Bühne von Clarissa Herbst so neckisch dekoriert? Dann wäre das Ganze ein alkoholisierter Traum von Pennern. Oder ist das politisch korrekte, vergossene Rot das Flüssige des Chili sin carne, das Jo Dunkel hingebungsvoll in seiner Pipilotti- Expo-Küche brutzelt? Für Freunde, die unterdessen im «Headquarter» lümmeln, ein riesiges Oblomov-Bett. Es sind diese kongenialen Bildfindungen - für die Nichtigkeit schneller Pläne, schillernder Reden und schneller, schillernder Lebens-Konzepte von New Age bis New Economy -, die Klaras Neustes auszeichnen. Korrekterweise wird auch der eigentliche Hauptdarsteller bis zum Ende aus der Einkaufstüte nicht ausgepackt: der Computer.

 

Daniele Muscionico

 

Zürich, Theaterhaus Gessnerallee, bis 8. Februar.