8. Januar 2010

Der Klimakongress tanzt

Das Theater KLARA wühlt sich in der Kaserne Basel durch „Letzte Welten“

 

von Stephan Reuter

Ideenmüllhaufen. Der Tänzer Gavin Webber landet im Altpapier der „Letzten Welten“. Das Stück des Theaters KLARA feiert am Freitag Premiere.

Foto: Maurice Korbel

 

Basel. Papier quillt vom Tisch, Papier quillt aus Kisten, zerknüllt, zerfetzt. Vielleicht sind darunter die ungehaltenen Reden, die nie gehörten Ideen, die entscheidenden Denkanstösse für eine bessere Welt. Vielleicht enthalten sie auch nur die üblichen Grussadressen, Absichtserklärungen, die Diplomatenfloskeln, die noch aus jeder Klimakonferenz zwischen Rio und Kyoto eine Enttäuschung gemacht haben.

 

Ein Kongress, der begraben ist unter Blättern, welche die Welt missdeuten: Das ist die Ausgangslage in den „Letzten Welten“ des Basler Theaters KLAR, einer neuen Produktion, die am Freitag in der Kaserne uraufgeführt wurde. Dann plumpst eine Frau vom Konferenztisch. Ihr Aufprall schreckt die versammelten Performer kurz auf. Dann wieder kollektive Starre, darauf ein Zucken, ein Stocken, ein Zappeln, ein Hin und Her- und ein treffendes Bild für den Terminaktivismus, mit dem zu solchen Weltpolitikspektakeln getrommelt wird. Bevor sich wieder nichts tut, jahrelang.

 

Gestärkt aus der Krise

KLARA-Regisseur Christoph Frick und Choreograf Gavin Webber vom Freiburger Tanzkollektiv PVC haben sich auf ein verkopftes Thema eingelassen, zumal für ein Physical-Theatre-Performance. Aber sie haben auch scharf beobachtet. Nun spielen sie mit dem Finanz-, Ökonomie- und Ernährungskrisen-Groove, mit den Medienposen und Plastikwörtern unserer Tage. Sie demonstrieren das Nacholbedarfslächeln, verulken die Gläubigerdanksagung, tanzen das groteske Systemrettungssystem, in welches das globale Dorf verstrickt ist, heillos, die Schönredner sowieso, und die Katastrophenverwalter der NGO nicht minder.

 

„Wir gehen gestärkt aus der Krise heraus und die die nächste hinein“ lautet das eine Mantra der „Letzten Welten“. Das andere: Nur eine Regierung unter der sich nichts regt, ist eine gute Regierung. Und die Morgengymnastik besteht aus Kollaps und Aufschwung, aus Rücklagenbildung und aus einem Ruck, der selbstredend durch die gesamte Gesellschaft zu gehen hat.

 

Vernetzt mit dem Stadttheater

Dieses Stück zeigt eindrucksvoll, welchen Weg das Theater KLARA in seinem zweiten Frühling einschlägt. Zur anarchischen Spiellust der 90er ist Disziplin hinzugekommen, der Wille zum Verfeinern. Und Christoph Frick ist inzwischen ein Regisseur, der seine Vernetzung mit dem Stadttheater für die freie Szene nutzen kann. So berserkern auf der Bühne neben den KLARA-Energiebündeln Michael Wolf und Dominique Rust drei Tanzer (Kate Harman, Alice Hinde, Gavin Webber) und die erstklassigen Schauspieler Johanna Eiworth, Marie Bonnet und Matthias Lodd, allesamt vom Theater Freiburg.

 

In 100 Minuten schlagen die Performer, von den Musikern Martin Schütz und Beni Weber hypnotisch gesteuert, erstaunliche Volten. Sie wälzen sich und die grossen Fragen, geben den kämpferischen Jean Ziegler, gelegentlich rüttelt auch einer feige am Notausgang. Dann kreiselt die Tafel, darauf stellen Fasnachtsfratzen obszöne Totentanzbilder aus. Aber die Maske ist ab, am dieser „Letzten Welten“.